"Schauen wir auf die vielen Zivilist:innen, deren Tötung zum Kollateralschaden gemacht wird. Fragen wir die Opfer selber. Achten wir auf die Geflüchteten, auf die Mütter, die ihre Kinder verloren haben, auf die Kinder, die verstümmelt oder ihrer Kindheit beraubt wurden. Lasst uns die Wahrheit dieser Gewaltopfer beachten, betrachten wir die Realität mit ihren Augen und hören wir ihren Berichten mit offenem Herzen zu. Dann können wir den Abgrund des Bösen im Innersten des Krieges sehen, und es wird uns nicht stören, als naiv betrachtet zu werden, weil wir uns für den Frieden entschieden haben."(Papst Franziskus, Fratelli Tutti, 2020, par. 261)
Ein Jahr nach der russischen Invasion in der Ukraine drückt Pax Christi International seine tiefe Sorge für die zahllosen Opfer eines Krieges aus, der zu Tod, Verletzungen, Vertreibung, Traumata und ökologischen Schäden geführt hat. Dieser Krieg hat fast 6 Millionen Binnenvertriebene und 8 Millionen Flüchtlinge hervorgebracht, mehr als 7.200 Zivilisten, darunter über 400 Kinder, und Hunderttausende von Soldaten getötet und ein Generationentrauma verursacht.
Der Angriffskrieg gegen die Ukraine hat deutlich gezeigt, dass es keine internationale Autorität gibt, die klug genug gewesen wäre, die Ursachen wirksam zu bekämpfen, oder über angemessene Mittel verfügt hätte, um Russlands brutale Invasion zu verhindern. Das Völkerrecht gesteht jeder souveränen Nation das Recht auf Selbstverteidigung zu. In einer Welt mit hochgradig zerstörerischen Waffen kann bewaffnete Selbstverteidigung eine Eskalation bis hin zu einem Atomkrieg auslösen.
Deshalb ruft Pax Christi International die internationale Gemeinschaft eindringlich dazu auf, sofort diplomatische Initiativen zur Wiederherstellung der internationalen Ordnung und der territorialen Integrität der Ukraine zu schaffen. Wir appellieren an Russland und die Ukraine, unverzüglich, auf neutralem Boden und mit einem für beide Seiten akzeptablen Vermittler in Verhandlungen zu treten.
Unzureichende Mittel für die Entwicklung und den Ausbau bewährter gewaltfreier Verteidigungsstrategien, einschließlich der sozialen Verteidigung, haben den Eindruck entstehen lassen, dass Selbstverteidigung immer und ausschließlich mit Waffen erfolgt. Viele Ukrainer:innen zeigen jedoch deutlich und mit großem Mut, dass gewaltfreie Verteidigung sehr effektiv sein kann und mit erheblichen Investitionen in Ressourcen, Ausbildung und Forschung viel leichter verfügbar sein könnte.
Pax Christi International ruft die internationale Gemeinschaft auf, in die Entwicklung gewaltfreier Strategien zur Verteidigung und für einen gerechten Frieden zu investieren.
Als Menschenrechts- und Friedensbewegung setzt sich Pax Christi International für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung für Soldaten und Zivilisten auf beiden Seiten des Konflikts ein. Wir fordern Unabhängigkeit der Medien, der politischen Oppositionsparteien und der Zivilgesellschaft in Russland; wir wertschätzen die vielen Formen des gewaltlosen Widerstands der russischen Gesellschaft gegen den Krieg und unterstützen alle Russ:innen, die gegen den Krieg protestieren und dabei Verhaftung und Gefängnis riskieren.
Dieser Krieg zeigt auch die Unmoral des Besitzes von Atomwaffen und die dringende Notwendigkeit ihrer Abschaffung. Die Drohung von Präsident Putin, in der Ukraine Atomwaffen einzusetzen, hat die Welt daran erinnert, dass eine einzige Atombombe eine humanitäre Katastrophe ungeahnten Ausmaßes auslösen könnte. Ein Atomkrieg würde das Ende der menschlichen Zivilisation, wie wir sie kennen, bedeuten. Pax Christi International ruft alle Staaten auf, diese Waffen zu delegitimieren und die Rechtsnorm gegen ihren Einsatz zu stärken, indem sie den Vertrag über das Verbot von Atomwaffen unterzeichnen und ratifizieren. Pax Christi International setzt sich dafür ein, das Konzept menschlicher Sicherheit in Europa und in der Welt zum Maßstab der Politik zu machen. Russland sollte ebenso wie Weißrussland und die Ukraine in ein breiteres Sicherheitskonzept einbezogen werden, das auf Vertrauensbildung und kollektiver Sicherheit basiert und Gerechten Frieden anstrebt. Das Konzept der menschlichen Sicherheit erkennt mit der Resolution 1325 der Vereinten Nationen an, dass Friedens- und Sicherheitsbemühungen nachhaltiger sind, wenn Frauen an der Gewaltprävention, der Hilfeleistung, der Traumabewältigung und den Bemühungen um einen dauerhaften Frieden beteiligt werden. Die notwendigen Mensch zu Mensch-Friedensprozesse, die den Dialog zwischen der ukrainischen und der russischen Bevölkerung, einschließlich der Frauen und der Jugend, einbeziehen, ist wichtig für die Prävention und die Transformation des gewaltsamen Konfliktes. Pax Christi International unterstützt Initiativen, die Kontakt, Zusammenarbeit und Heilung ermöglichen.
Pax Christi International ist eine Bewegung für Versöhnung und aktive Gewaltfreiheit, die am Ende des Zweiten Weltkriegs im tiefen Glauben an die Möglichkeit eines gerechten Friedens gegründet wurde. Wir sind uns schmerzlich bewusst, dass Krieg nicht auf die Ukraine beschränkt ist, dass Gewalt in vielen Ecken der Welt endemisch ist und dass eine neue Orientierung an Gewaltlosigkeit friedenslogischem Denken dringend erforderlich ist.
Wir rufen die Mitglieder von Pax Christi und alle Menschen guten Willens zum Gebet und zur Mobilisierung für den Frieden und fordern die Staaten auf, die Beziehung zwischen menschlicher Sicherheit, der Bewahrung der Schöpfung, der Menschenwürde und einem nachhaltigen Frieden zu thematisieren und sich dringend für den Dialog einzusetzen.
"Die russische Invasion in der Ukraine fügt dem ukrainischen Volk unsägliches Leid zu, was tiefgreifende globale Auswirkungen hat. Die Aussichten auf Frieden werden immer geringer. Die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Eskalation und eines weiteren Blutvergießens nimmt zu. Ich befürchte, die Welt schlafwandelt nicht in einen größeren Krieg hinein - ich befürchte, sie tut dies sehenden Auges" (UN-Generalsekretär Antonio Gutérrez, 6. Februar 2023)
Wenn wir in Zukunft die Ernte des Friedens und der Gerechtigkeit einfahren wollen, müssen wir hier und jetzt, in der Gegenwart, die Saat der Gewaltlosigkeit säen." (Mairead Maguire, Irische Friedensaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin)