Rede beim Ostermarsch 2023 von Jürgen Herberich, Vorsitzender pax christi Diözesanverband Würzburg.
Wir sehen die Zivilisten und Zivilistinnen, deren Tötung ein Kollateralschaden ist. Uns lassen die Opfer nicht kalt: die Geflüchteten, die Frauen und Männer, die ihre Partner, ihren Partner oder Kinder verloren haben, die Kinder, die ihrer Kindheit beraubt werden. Wir schauen auf die Wahrheit dieser Gewaltopfer, wir betrachten die Wirklichkeit mit den Augen dieser Opfer. Und wir sehen so den Abgrund des Bösen im Innersten des Krieges. Weil wir diese Seite des Krieges sehen und weil wir uns für einen anderen Frieden als militärische Lösungen entschieden haben, stört es uns nicht als naiv betrachtet zu werden!
Über ein Jahr nach der russischen Invasion in der Ukraine drückt pax christi seine tiefe Sorge für die zahllosen Opfer eines Krieges aus, der zu Tod, Verletzungen, Vertreibung, Traumata und ökologischen Schäden geführt hat. Dieser Krieg hat fast 6 Millionen Binnenvertriebene und 8 Millionen Flüchtlinge hervorgebracht, mehr als 7.200 Zivilisten, darunter über 400 Kinder, und Abertausende von Soldaten getötet und ein Generationentrauma verursacht.
Der Angriffskrieg gegen die Ukraine hat deutlich gezeigt, dass es keine internationale Autorität gibt, die klug genug gewesen wäre, die Ursachen wirksam zu bekämpfen, oder über angemessene Mittel verfügt hätte, um Russlands brutale Invasion zu verhindern. Das Völkerrecht gesteht zwar jeder souveränen Nation das Recht auf Selbstverteidigung zu. Aber: in einer Welt mit hochgradig zerstörerischen Waffen kann bewaffnete Selbstverteidigung eine Eskalation bis hin zu einem Atomkrieg auslösen.
Deshalb ruft pax christi die internationale Gemeinschaft eindringlich dazu auf, sofort diplomatische Initiativen zur Wiederherstellung der internationalen Ordnung und der territorialen Integrität der Ukraine zu schaffen. Wir appellieren an Russland und die Ukraine – unverzüglich - auf neutralem Boden und mit einem für beide Seiten akzeptablen Vermittler in Verhandlungen zu treten. Es ist Aufgabe der internationalen Diplomatie dazu den Weg zu bereiten. Nur wenn Mediatoren, also unparteiische, unabhängige Dritte die Konfliktparteien in ihrem Konfliktlösungsprozess begleiten, kann echter Friede wachsen.
Unzureichende Mittel für die Entwicklung und den Ausbau bewährter gewaltfreier Verteidigungsstrategien, einschließlich der sozialen Verteidigung, haben den Eindruck entstehen lassen, dass Selbstverteidigung immer und ausschließlich mit Waffen erfolgen kann. pax christi erinnert an das weitreichende Friedens-Szenario das den Titel trägt: „Sicherheit NEU denken“. Es ist entwickelt worden von der Evangelischen Badischen Landeskirche, getragen wird es von vielen friedensbewegten Organisationen. Kurz zusammengefasst: Weg von einer Politik, die "Verantwortung" als militärische Stärke und Intervention missversteht. Hin zu einer zivilen Außen- und Sicherheitspolitik - und das ist das Entscheidende - der Gewaltprävention und Kooperation. pax christi ruft die internationale Gemeinschaft auf, in die Entwicklung gewaltfreier Strategien zur Verteidigung und für einen gerechten Frieden zu investieren.
Als Menschenrechts- und Friedensbewegung setzt sich pax christi für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung für Soldaten und Zivilisten auf beiden Seiten des Konflikts ein. Wir wertschätzen die vielen Formen des gewaltlosen Widerstands der russischen Gesellschaft gegen den Krieg und unterstützen alle Russ:innen, die gegen den Krieg protestieren und dabei Verhaftung und Gefängnis riskieren.
Dieser Krieg zeigt auch die Unmoral des Besitzes von Atomwaffen und die dringende Notwendigkeit ihrer Abschaffung. pax christi ruft alle Staaten auf, diese Waffen zu delegitimieren und die Rechtsnorm gegen ihren Einsatz zu stärken, indem sie den Vertrag über das Verbot von Atomwaffen unterzeichnen und ratifizieren.
pax christi setzt sich dafür ein, das Konzept menschlicher Sicherheit in Europa und in der Welt zum Maßstab der Politik zu machen. Russland muss ebenso wie Weißrussland und die Ukraine langfristig in ein breiteres Sicherheitskonzept einbezogen werden, das auf Vertrauensbildung und kollektiver Sicherheit basiert und Gerechten Frieden anstrebt.
Mit der Resolution 1325 der Vereinten Nationen wird anerkannt, dass Friedens- und Sicherheitsbemühungen nachhaltiger sind, wenn Frauen an der Gewaltprävention, der Hilfeleistung, der Traumabewältigung und den Bemühungen um einen dauerhaften Frieden beteiligt werden.
pax christi ist eine Bewegung für Versöhnung und aktive Gewaltfreiheit, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs im tiefen Glauben an die Möglichkeit eines gerechten Friedens gegründet wurde. Wir sind uns schmerzlich bewusst, dass Krieg nicht auf die Ukraine beschränkt ist, dass Gewalt in vielen Ecken der Welt endemisch ist und dass eine neue Orientierung an Gewaltlosigkeit friedenslogischem Denken dringend erforderlich ist.
Die Mitbegründerin der einflussreichsten Friedensbewegung Nordirlands, die Friedensnobelpreisträgerin Mairead Maguire, zeichnet den Weg auf, der vor uns liegt, wenn sie sagt: „Wenn wir in Zukunft die Ernte des Friedens und der Gerechtigkeit einfahren wollen, müssen wir hier und jetzt, in der Gegenwart, die Saat der Gewaltlosigkeit säen."